Wie gewaltfreier Protest gelingt – das Symbol: die erhobene Faust

Wie gewalfreier Protest gelingt

Demokratie ist kein Ziel. Es ist ein ewiger Prozess. Das spüren wir dieser Tage mehr als wie je für möglich gehalten hätten. Doch wie setzen wir uns für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ein? Hier gibt’s Tipps und Strategien, wie gewaltfreier Protest gelingt

Ich war neulich in einem Kreis von Aktivistinnen, die sich einmal im Monat treffen, um sich über ihre Perspektive auf die aktuelle Situation auszutauschen. Es waren auch einige Fragen aus den USA mit dabei. Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass sie viel zu berichten hatten: darüber, wie tief ihre Trauer ist, angesichts der Veränderungen auf ihrem Kontinent. Wie sehr sie sich vor dem fürchten, was da auf sie zukommt. Und dass sie sich fragen: was können wir tun?

Niemand ist auf ein Leben in einem autoritären Staat vorbereitet. Und jede Demokratie funktioniert nur so gut, wie Menschen sich einmischen und mit gestalten. Welche Strategien schützen Dinge wie Rechtsstaatlichkeit, Medien- und Redefreiheit? Wie gewinnt man Unterstützung in der „normalen“ Bevölkerung, wenn Angst und Ohnmacht um sich greifen? Wie erlangt man Deutungshoheit, wenn Menschen nicht mehr zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden können?

Durch Zufall fiel mir wenige Tage später das Buch „Protest“ von Srdja Popovic und Mathew Miller in die Hände. Popovic ist einer der Gründer von Otpor. Das ist die legendäre Gruppe von Aktivist:innen, die sich auf die Fahne schreibt, den serbischen Diktator Milsevic mit ihren smarten Strategien und Taktiken gestürzt zu haben. Nach diesem Erfolg gründeten sie die Organisation Canvas (Center for Applied Non-Violent Actions and Strategies). Sie bildet Kämpfer:innen für Demokratie auf der ganzen Welt aus. „Nichts wirksamer als gewaltfreier Widerstand“ lautet ihr Motto. Und das sind ihre Tipps:

Träume groß

Popovic erzählt in seinem Buch eine Geschichte über geglückte Protestaktionen nach der anderen. Und mit jeder gibt er ein weiteres Stück seiner Erfahrungen und Erkenntnisse weiter. Wie also gelingt gewaltfreier Protest? Erst einmal muss man genau zuhören und beobachten. Damit gewaltfreier Protest erfolgreich sind, reichen hehren Ziele – wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder Demokratie – nicht. Die durchschnittlichen Bürger:innen interessieren sich nicht dafür, so Popovic. Sie haben dafür weder Kraft noch Zeit.

Zum Beispiel wünschen sich Menschen in vielen Ländern einfach ein ruhiges, glückliches Leben. Sie wollen eine Arbeit, von der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Sie wollen abends oder nachts sicher durch die Straßen gehen können. Sie wollen ein gutes Leben für ihre Kinder. All das lässt sich in der Regel durchaus mit den Zielen der gewaltfreien Protestaktionen in Einklang bringen: Ein Rechtsstaat sorgt für Sicherheit. Ein gutes Bildungssystem für die gute Zukunft der Kinder. Ein korruptionsfreier Staat ist eine der Voraussetzungen für eine Wirtschaft, in der Menschen eine ordentlich bezahlte Arbeit finden können.

Es ist also vor allem eine Frage der Formulierung, ob sich Menschen mit den Zielen und Visionen des gewaltfreien Protests identifizieren können. Doch genau das ist die wichtigste Voraussetzung, damit dieser Erfolg hat. Popovic rät allen angehenden Protestler:innen dazu, sich ein Stück Papier zu nehmen und in der Mitte einen Strich zu ziehen. Egal, ob es sich um eine Bürgerinitiative zum Erhalt eines Natuschutzgebietes geht oder den Sturz eines Diktators: auf die eine Seite kommen die Unterstützenden, auf die andere Seite die Widersacher. Wenn sich mehr auf der Gegenseite befinden, sollte man weiter forschen, wie sich die eigene Vision so formulieren lässt, dass sie mehr Unterstützende findet.

Fange klein an

Die nächste Botschaft lautet: Fange klein an! Nur sehr wenige Menschen sind an den komplexen Zusammenhängen und Wirkungsweisen eines Wirtschaftssystems interessiert. Und noch weniger wollen sich in ihrem Leben die Mühe machen, etwas Großes und Kompliziertes zu verändern. Aber wenn das Lieblingslebensmittel einer Nation immer teuerer wird, dann lässt sich damit beispielsweise arbeiten. So geschehen um das Jahr 2011 in Israel: der Hüttenkäse, ein Nationalgericht der Israelis, wurde nicht mehr vom Staat subventioniert. Sein Preis stiegt infolge von Privatisierungen. Gleichzeitig wurden viele Israelis immer ärmer, weil der Staat immer mehr Sozialleistungen strich.

Da kam es dem Versicherungsvertreter Itzik Alrov in den Sinn, dass er endlich etwas gegen den „Schweinekapitalismus“ unternehmen wollte. Er rief zum Boykott von Hüttenkäse auf. Und so viele seiner Landsleute folgen ihm, dass die Hüttenkäsehersteller zunächst Veränderungen versprachen (was aber nicht reichte, um den Boykott zu beenden). Und später die Preise tatsächlich senkten.

Solche kleinen Siege sind immens wichtig, meint Popovic. Damit gewaltfreier Protest gelingt musst du den Menschen zunächst zeigen, dass Veränderungen möglich sind. Es sei daher sehr wichtig, dass man sich zunächst vor allem die „Kämpfe“ aussuche, die man gewinnen könne. Danach könne man weitere Schritte gehen. In Israel herrschte zeitgleich zum Beispiel große Wohnungsnot. Vor allem Studierende hatten es schwer, eine bezahlbare Unterkunft zu finden. Auf Protest zelteten sie in öffentlichen Parks. Hätten sie das ohne die Hüttenkäserevolte auch getan? Wer weiß.

Die Säulen der Macht

Gewalt funktioniert nie gut. Damit gewaltfreier Protest geling, müssen sich die Menschen genau überlegen, an welchen Stellen sie einen Machthaber oder eine Machthaberin angreifen. Oder ander gesagt: Sie müssen wissen, auf welchen Säulen seine oder ihre Macht beruht.

Meist ist es ein wirtschaftliches System, dass die Loyalität von Entscheidungstragenden aus Wirtschaft, Militär oder Universitäten etc. sichert. Für den gewaltfreien Widerstand ist es daher eine gute Idee dafür zu sorgen, dass es den Machthabenden eines Landes nicht mehr so gut geht und ihre Säulen der Macht bröckeln. Was wäre beispielsweise gewesen, wenn syrische Aktivist:innen die großen Hotelketten dazu hätten bringen könnten, ihre Konzessionen mit Luxushotels in Städten wie Damaskus zurück zu ziehen? Das Apartheidsregime Südafrikas ist wohl das bekannteste Beispiel dafür, dass Wirtschaftsboykotte wirksam sein können. In Serbien hatte Otpor wiederum festgestellt, dass es vor allem die Ärzte, Priester und Lehrer auf seine Seite ziehen musste, um die Mehrheit zu bekommen.

Mit Lachtivismus gegen die Angst

Angst zu verbreiten ist mit das größte Machtinstrument. Das beste Mittel dagegen ist laut Popovic: Humor. Er ist daher ein großer Verfechter des „Lachtivismus“, wie er es nennt. In seinem Buch beschreibt er, wie sie die Strategie „Humor“ für sich entdeckten. Sie saßen zusammen und hatten Angst vor Gefängnis und Folter. Sie sahen, wie viel Macht und Geld Milosevic hatte. Und ihnen war klar, dass sie nichts davon besaßen. Wie gelingt gewaltfreier Protest in so einer Situation? Damals wurde ihnen bewusst: indem sie die Machthabenden und ihre Stellvertretenden (wie die Polizei) lächerlich machten. Am besten mit Mitteln, die nicht strafbar waren.

So erfanden sie zum Beispiel das Grinsefass: ein altes Ölfass, auf das sie den Kopf von Milosevic malten sowie ein Schild, dass alle für einen Dinar auf das Fass einschlagen könnten. Oben in das Fass machen sie einen Schlitz, in den die Leute das Geld werfen konnten. Und dann stellten sie das Fass zusammen mit einem Baseballschläger in eine der belebtesten Fußgängerzonen Belgrads und machten sich so schnell sie konnten aus dem Staub.

Aus einem Café in der Nähe beobachteten sie, wie immer mehr Menschen stutzten, das Schild lasen, grinsten. Bald nahmen Menschen den Schläger und droschen auf das Fass ein (was einen Höllenlärm machte). Das ging eine ganze Weile so. Es bildete sich sogar eine Schlange. Schließlich kam die Polizei. Doch was sollte sie tun? Ganz normaler Bürger verhaften, die auf ein Ölfass einschlugen? Das war schließlich nicht verboten. Sie telefonierten und berieten sich. Schließlich „verhafteten“ sie nur das Fass. Das dokumentierten die Aktivist:innen und verbreiteten die Bilder – sehr zur Freude der Bürger:innen und sehr zum Ärger Milosevics.

Die Unterdrückung zum Bumerang machen

Dennoch ist klar: Die Angst bleibt. Auch die mutigsten Menschen haben Angst davor, was passiert, wenn sie verhaftet werden. Dagegen hilft nur Wissen, meint Popovic. Nachdem die ersten von ihnen verhaftet worden seien, hätten sie minutiös ihre Erfahrungen aufgeschrieben und das Wissen verbreitet. Sicher, die Erfahrungen im Gefängnis waren keineswegs angenehm. Aber die Angst verringerte sich dennoch drastisch, nachdem die Leute wussten, womit sie rechnen mussten und sich mit Dingen wie Telefonlisten, Vorlagen für Pressemitteilungen oder Rollenspiele darauf vorbereiten konnten.

Mit der Zeit wurde es unter den Otpor-Aktivist:innen zur Ehrenauszeichnung möglichst oft verhaftet zu werden. Es gab sogar T-Shirts in unterschiedlichen Farben mit dem Symbol der Bewegung vorne drauf: einer Faust. Schwarze T-Shirts bekamen zum Beispiel nur Menschen, die mehr als zehnmal verhaftet worden waren. Sie wurden zu etwas, was den Sozialstatus von Menschen ganz entscheidend erhöhen konnte. Das machte es für das Regime wiederum eigentlich unsinnig, Aktivist:innen zu verhaften: Sie taten ihnen damit ja quasi in gewisser Weise einen Gefallen.

Oder anders gesagt: das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Verhaftungen verkehrten sich. Warum sollten Polizisten viel Zeit mit der Verhaftung und dem Verhör der Leute verbringen. Zumal die Otpor-Bewegung immer ein Unterstützungsnetzwerk für jede verhaftete Person organisierte. Sprechchöre vor dem Gefängnis. Unzählige Omas, die im Minutentakt auf der Wache anriefen und freundlich fragten, warum sie denn die „armen Kinder“ verhafteten. Verhaftete, die in den Verhören immer nur die gleichen Sätze von sich gaben …

Machthabende in solch ein Dilemma zu bringen, ist Ziel kluger Strategien. So gelingt gewaltfreier Protest! Und damit sind wir auch schon beim nächsten, wesentlichen Punkt für den Erfolg einer Protestbewegung: die Gemeinschaft!

Alle zusammen in Gemeinschaft

Wer im Namen der 99 Prozent demonstriert, der sollte doch eigentlich die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich bringen. Oder nicht? Stimmt nicht, meint Popovic. Er sieht die Occupy Bewegung als ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn Aktivist:innen aus einer links-liberalen, gut gebildeten Ecke nur ihre eigene Perspektive sehen. Allein der Name, findet Popovic: Occupy … das sage einem, man müsse einen Platz oder ein Gebäude besetzen, um Teil der Bewegung zu sein. Doch würden ‚normale‘ Bürger:innen so etwas tun? Vermutlich nicht. Hätte sich die Bewegung stattdessen „99 Prozent“ genannt, hätte sie mehr Menschen angesprochen, findet er.

Außerdem hätten sie tun sollen, was Menschen einer gewaltfreien Protestbewegung in anderen Länder tun: vom Stadt aufs Land fahren und die Menschen dort nach ihren Wünschen und Träumen fragen. Denn sie müssen die Mehrheit auf ihre Seite bringen. Und das geht nicht, wenn sie sich allein auf die Kultur, Musik, Haltung etc. einer progressiven Linken beziehen. Sie müsse sich öffnen, meint Popovic. Und das sei gar nicht sooo schwierig. Und bringt Otpor als Vorlage ins Spiel. Sie hätten damals nicht für ein freie Kulturszene oder ähnliches protestiert. Sie hätten sich unter dem Motto „Er ist fertig!“ vereint. Mit „er“ war Milosevic gemeint und dass er weg musste, darin waren sich alle einig.

Planung, Strategie und Taktik

Gewaltfreier Protest gelingt nur mit einer Gemeinschaft. Doch eine Gemeinschaft entsteht nur mit jeder Menge guter Planung. Als Vordenker lässt sich hier us-amerikanische Politikwissenschaftler Gene Sharp nennen, ein unbedingter Verfechter des gewaltfreien Widerstands. Er vermittelt etwas, das Popovic in seinem Buch die „Rückwärtsplanung“ nennt. Und die geht folgendermaßen:

Als erstes malt man sich ganz genau aus, wie die Welt aussieht, wenn man das Ziel erreicht hat, das man mit seiner Bewegung erreichen will (hier möchte ich zum kostenlosen E-Book über die Methodik „Dragon Dreaming“ verlinken. Hierin gibt es eine Methode namens „Traumkreis“, die mir dafür sehr geeignet scheint). Das ist natürlich nicht immer der Sturz eines Machthabers. Das eigentliche Ziel ist in der Regel eine gut funktionierende Demokratie mit Rechtsstaat, Gewaltenteilung, freien Medien und so weiter.

Ausgehend von dieser Vision entwickelt man nun die Strategie. Die Strategie ist ein Plan wie man von dort, wo man jetzt ist, dorthin kommt, wo man in Zukunft sein will. Was muss alles geschehen, was müssen wir tun, um unsere Ziele zu erreichen? Mit der Taktik ist hingegen das Vorgehen in der aktuellen Situation gemeint. Und die kann und muss oft spontan in der Situation selbst entwickelt und umgesetzt werden. Laut Popovic ist es selten, das ein Menschen sowohl ein guter Stratege als auch ein guter Taktiker ist. Denn Strategen denken weit voraus und halten ihre Strategie fest im Blick. Sie beweisen Ausdauer und einen langen Atem. Taktiker dagegen fällt es leicht, ihren Plan im Angesicht neuer Entwicklungen loszulassen und eine sinnvollere, neue Taktik zu wählen. Es ist ideal, wenn man beide Qualitäten im Team hat.

Wie gewaltfreier Protest gelingt

Popovic erläutert lang und breit, warum gewaltfreier Protest die allerbeste Option ist. Für alle. Wer nicht so leicht davon überzeugt ist, kann sich zum Beispiel das Buch „Warum ziviler Widerstand funktioniert: die strategische Logik des gewaltlosen Widerstands“ der beiden Politikwissenschaftlerinnen Erica Chenoweth und Maria J. Stephan durchlesen. Die beiden haben 323 Konflikte zwischen 1900 und 2006 untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen: Gewaltvoller Widerstand ist in 26 Prozent der Fälle erfolgreich. Gewaltfreier Protest in 56 Prozent der Fälle. Und es gibt noch weitere gute Gründe für den gewaltfreien Protest. Etwa, dass nach dem Erfolg die ganze Geschichte ebenfalls viel friedlicher weitergeht.

Deshalb ist es super wichtig, dass ein gewaltfreier Protest auch tatsächlich gewaltfrei bleibt. Das geschieht nicht einfach so. Dafür muss man sich schon ein bisschen Mühe geben. Popovic weiß, was sich das unternehmen lässt und hat folgende Tipps:

  • Übt Konfliktsituationen. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA hat zum Beispiel Situationen in Rollenspielen simuliert, in denen die Aktivist:innen bespuckt, beschimpft und bedroht wird, um im Ernstfall vorbereitet zu sein und friedlich zu bleiben. Egal, was passiert.
  • Sorgt für eine friedliche, fröhliche Atmosphäre während der Aktionen. Singt Lieder (vielleicht sogar Loblieder auf die Polizei? Vielleicht sogar Schlager, die Menschen anderer Gesinnung auch gut finden?), tanzt, tragt fröhliche Kleidung, lächelt.
  • Vermeidet Provokationen. Die gibt es einerseits auf Seiten der Polizei. Otpor hat sich zum Beispiel darauf verlegt bei Demonstrationen schöne, junge Frauen nach vorne, vor die Polizisten zu stellen. Junge, tendenziell gewaltbereite Männer kamen nach hinten, möglichst weit weg von den Polizisten.
  • Grenzt euch ab. Genauso wichtig ist es aber auch, potentielle Provokationen aus den „eigenen“ Reihen zu verhindern. Die Occupy Bewegung in Italien hat zum Beispiel ganz gezielt Aktivist:innen des Schwarzen Blocks fotografiert und veröffentlicht, um sich von diesen gewaltbereiten Menschen zu distanzieren. Mit Erfolg.
  • Sorgt für Ordnung. Außerdem gab es bei Otpor auch immer genug Ordner:innen mit roten Armbinden in den eigenen Reihen, die genau schauten, dass niemand randalierte oder Sachen warf. Vielmehr erstickten sie Eskalationen bereits im Keim, damit der gewaltfreie Protest gelingt.

Die Dreifaltigkeit gewaltlosen Protest lautet nach Popovic: gewaltlose Disziplin, Einigkeit, Planung!

Wann ist das Ziel eigentlich erreicht?

Wenn alles gut läuft und der Diktator gestürzt ist – ist dann das Ziel erreicht? Viele nehmen das vielleicht an. Und das wird vom gewaltfreien Protest ja auch meist als das Ziel angeben, das alle eint. Doch in Wahrheit fängt die Arbeit nun natürlich erst an. Denn nun ist die entscheidende Frage: Was kommt stattdessen? Zum Beispiel sollte sich ja eine Demokratie mit Gewaltenteilung, Rechtsstaat und vielem mehr entwickeln. Es ist also gar nicht so leicht zu sagen, wann man das Ziel erreicht hat. Vermutlich ist das nie der Fall. Es gibt eher Etappensiege.

Diese zu verkünden ist jedoch eine wichtige Angelegenheit, wie Popovich beschreibt. Denn jeder Teilerfolg zeigt allen anderen: Die Bewegung ist erfolgreich. Es lohnt sich mitzumachen. Es verlangt Gespür und taktisches Geschick zu erkennen, wann es für den gewaltfreien Protest Zeit ist, weitere Forderungen zu stellen. Und wann es klüger ist, das bereits erreichte als Meilenstein zu feiern. Denn verlangt man zu viel, verliert der „Gegner“ sein Gesicht. Dann kann es kein Entgegenkommen geben. Der gewaltfreie Protest gelingt nicht. Verlangt man zu wenig (etwa „nur“ den Sturz des Diktators), kann das alles Erreichte zunichte machen (etwa in dem der nächste Diktator die Macht an sich reißt).

Nach dem Protest ist vor dem Protest

Daraus folgt: Gewaltfreier Protest ist eigentlich nie beendet. Hier schließt sich der Kreis zu uns. Natürlich gibt es bei uns keinen Diktator oder Autokraten zu stürzen. Das bedeutet aber nicht, das alles bestens läuft. Gerade will zum Beispiel die Union das Informationsfreiheitsgesetz kippen und Organisationen, die sich für Demokratie einsetzen, aber nicht genau ihrer Meinung ist, den Geldhahn zudrehen. Auch für uns gibt es also immer wieder Anlass, uns für die Demokratie einzusetzen und nicht einfach alles laufen zu lassen.

Die Strategien, Erkenntnisse und Erfahrungen von Popovic und Otpor, wie gewaltfreier Protest gelingt, lassen sich im Grundschema auch bei uns anwenden. Jeder Otto Normalverbraucher und jede Lieschen Müller kann sie nutzen. Niemand kann sich damit herausreden, dass das alles doch ohnehin nichts bringt. Sicher: Auch gewaltfreier Protest gelingt nicht hundert Prozent sicher. Man muss auch Glück haben. Aber wenn Menschen in anderen Ländern es unter Einsatz ihres Lebens schaffen, Diktatoren und Autokraten zu stürzen, dann sollten wir hier doch in der Lage sein, unsere Demokratie zu verteidigen!


Bibliografische Angaben

Protest! Wie man die Mächtigen das Fürchten lehrt.

Srdja Popovic und Matthew Miller

ISBN 978-3-596-03377-5

Preis: 16,99 Euro

Bestellen: https://www.fischerverlage.de/buch/srdja-popovic-matthew-miller-protest-9783596033775


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ilona

ist freie Jour­na­lis­tin, Publizistin, Projekt­ma­che­rin und Medienaktivistin. Seit über zehn Jahren schreibt sie Bücher, Blogposts, macht Podcasts, gibt Workshops und hält Vorträge. Zudem begleitet und berät sie öko-soziale Organisationen, Gemeinschaften, Künstler:innen, Kreative und Aktivist:innen bei der ganzheitlichen und nachhaltigen Planung und Kommunikation ihrer Projekte und Bücher.

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