PRISMBREAK IMPOSSIBLE?

Ja sicher, wir werden überwacht. Und zwar in ganz großem Stil. Die Stasi war ein Witz im Vergleich zu Prism oder Tempora. Na und? In Deutschland macht sich skandalöse Gleichgültigkeit breit. Da haben wir was gegen…

Was bisher geschah

Vielleicht liegt das Ausbleiben eines medialen oder sonst wie gearteten Aufschreis ja daran, dass irgendwie noch nicht klar ist, was hier eigentlich gerade aufgedeckt wurde. Daher noch mal in Kürze: Die USA und auch Großbritannien fahren mit  PRISM und TEMPORA Spionageprogramme, die ihresgleichen suchen. Internet-Giganten wie Microsoft (u.a. Skype), Facebook, Google (u.a. YouTube) oder Apple beteiligen sich daran. Was genau ausgespäht wird, wie lange die Daten gespeichert werden und in wessen Hände sie noch geraten (sprich die Wirtschaft) ist unbekannt.

Bekannt ist allerdings, dass sich das >>Abhören<< nicht nur auf Nicht-Amerikaner bezieht (also von den USA aus gesehen das Ausland), sondern auch auf die Amerikaner selbst. Und allein das hat zumindest in den USA für heftige (Medien-)Debatten geführt, in deren Verlauf sich sogar Kontrahenten wie der rechts gerichtete TV-Moderator Bill O’Reilly und der Dokumentarfilm-Aktivist Michael Moore in Eintracht die Hände schütteln. Dass der Rest der Welt ausspioniert wird, stößt bei den Amerikanern hingegen überwiegend auf Zustimmung…

Geschichte wird gemacht

Dabei hat dieser Skandal Ausmaße, die Historiker bereits zu geschichtsträchtigen Vergleichen bemüßigen. Allen voran die illegalen Abhörmaßnahmen des ehemaligen FBI-Chef J. Edgar Hoover. Der überwachte, unterwanderte und diskreditierte die damalige Anti-Kriegsbewegung in den USA mit weitgehend illegalen und geheimen Programmen. Die Professorin für US-amerikanische Geschichte Beverly Gage beklagt jedenfalls, dass die damals eingerichteten Kontrollinstanzen anscheinend nur noch zu Durchwinken da seien – aber jedenfalls nicht ihre Lehre aus dem Skandal um Hoover gezogen hätten (http://ow.ly/mom6e).

Und was passiert hierzulande? Schreien Politiker auf, Menschenrechtler, Intellektuelle? Gehen die Menschen auf die Straße? Oder boykottieren sie zumindest YouTube, Facebook, Skype und Co? Mitnichten! Die einzige spannende >>Story<< scheint die Frage zu sein, wo sich Whistleblower Edward Snowden derzeit aufhält… Ist ja auch fast wie Unterhaltungsprogramm / Krimi. Verkauft sich besser und sorgt für höhere Einschaltquoten, als ein Überwachungssystem, das uns ängstigt und gegen das wir scheinbar ohnehin nicht tun können, oder?

 

Ein Phänomen: Wir bleiben brav

Was mich direkt zu meiner ursprünglichen Frage bringt: Warum regt sich kein Protest? Wieso kann hier ein Überwachungsskandal aufgedeckt werden, der Hoover, die Stasi und alles bislang gekannte locker in den Schatten stellt – und niemand sagt etwas dazu, geschweige denn hebt eine Hand? Wo sind die Politiker, die bei einem weiteren amerikanischen Amokläufer sofort nach strengeren Gesetzen in Deutschland rufen? Wollen sie uns diesmal nicht schützen?

Wo sind die Politiker, die an Jahrestagen (zu Recht!) an die Schrecken der Nazi-Herrschaft und Stasi-Überwachung gemahnen, an die Freiheitskämpfer erinnern und uns ermutigen, in ihre Fußstapfen zu treten? Und wo sind eigentlich die Bürger, die noch in den 1980ern gegen eine Volkszählung auf die Straße gingen? Wo sind die Bürger, die lauthals ihre Freiheit fordern, wenn es um’s Rauchen, Bier trinken oder das schnelle Autofahren geht?

Ein Erklärungsversuch

Vielleicht geht es uns eben einfach wie der Ameise mit dem Schuh: Er ist zu groß, als dass wir ihn heran kommen sehen würden…? Und zu abstrakt sicherlich auch. Ich frage mich, wie wir reagieren würden, wenn jeder von uns eine E-Mail erhielte, in der das Profil über uns zu lesen steht, dass man mit Hilfe von PRISM & Co anlegen kann… Wäre der Schock so groß, dass wir sofort den Router samt Steckdose aus der Wand reißen würden? Wer weiß…

Doch momentan ist der Vorteil von Facebook, Skype, YouTube & Co. so unmittelbar und groß (auch wegen des Gruppenzwangs) – noch sind die damit verbundenen Nachteile so abstrakt und unbekannt, dass wir fröhlich weiter machen, als sei nichts geschehen. Selbst wenn ich mir die Zeit nehme, mich hinsetze und mir versuche auszumalen, was da vor sich geht… es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Vielleicht ist das ähnlich wie mit der Vorstellung, die Welt sei eine Scheibe: Solange wir kein Foto von der Erdkugel aus dem Weltall hatten, konnten wir eben weder das eine (die Scheibe) noch das andere (die Kugel) sehen…

Nun, erste Versuche, das Unbegreifliche zumindest im Ansatz begreiflich, greifbar zu machen, gibt es schon – etwa über die neue Fake-Community PRISM mit dem viel versprechenden Slogan >>All Your Data In One Place<<, programmiert von Andrew McCarthy: http://prism.andrevv.com/

Was ist zu tun?

Bleibt die echte Ratlosigkeit, was für das Individuum nun zu tun sei. Denn selbst einmal angenommen die Empörung ist groß genug, um die Bequemlichkeitshürde des Durchschnittsbürgers zu überwinden – was könnte er oder sie tun? Facebook verlassen? (Alternativen wie joindiaspora.com/ u.v.m. gibt es schließlich schon reichlich und lange…) Google boykottieren? (Alternative gibt es immerhin, beispielsweise duckduckgo.com/, die rein gar Nichts speichert und deren Suchanfragen-Zahl seit PRISM angeblich um 90 Prozent gestiegen sein soll). Apple meiden? (Der Datenschutz-Negativpreis Big Brother Award sagt uns schließlich schon lange, dass der Hersteller mit dem guten Image zu den >>Bösen<< gehört…)

Oder wir machen uns eben auch einfach mal endlich konsequent daran, unser eigenes Internet aufzubauen. Entsprechende Initiativen und Projekte gibt es schließlich auch schon: Allen voran Freifunk (http://start.freifunk.net/). Das alternative Internet in Bürgerhand ist Anfang dieses Jahrtausends in London entstanden. Seid dem hat es sich vor allem in Berlin, aber auch in Hamburg verbreitet.

Dann machen wir unser Internet halt selbst!

Derzeit ist das Netz an Freifunk-Routern noch nicht dicht genug, als dass man tatsächlich eine Internet-Alternative schaffen könnte. Doch das Ideal bei der ganzen Sache ist schon, dass man von Freifunk-Router zu Freifunk-Router Daten rund um die Welt schicken kann und kein Provider und kein Staat die Herrschaft darüber hat. Bis jetzt läuft Freifunk jedoch auch noch über das Internet.

Jeder Freifunker bietet aber einen Teil seiner Internet-Verbindung der allgemeinen Öffentlichkeit an. Damit dabei nicht die sogenannte Störerhaftung zum Tragen kommt (sprich der Inhaber des Internet-Anschlusses für Gesetzesverstöße haftbar ist, die diejenigen begehen, die sich über seinen Freifunk ins Internet einklinken), sorgt ein Server in den Niederlanden. Die Installation und Einrichtung des Freifunk-Routers ist denkbar einfach – engagierte Freifunker kommen sonst auch gern vorbei und helfen.

Nichts desto trotz sind derlei Ideen derzeit noch Utopien einiger Nerds. Schade eigentlich. Doch mit noch ein bisschen Propaganda von Seiten der Geheimdienste könnte aus den Hacker-Träumen vielleicht doch noch eines Tages irgendwann Wirklichkeit werden…

 

ilona

ist freie Jour­na­lis­tin, Publizistin, Projekt­ma­che­rin und Medienaktivistin. Seit über zehn Jahren schreibt sie Bücher, Blogposts, macht Podcasts, gibt Workshops und hält Vorträge. Zudem begleitet und berät sie öko-soziale Organisationen, Gemeinschaften, Künstler:innen, Kreative und Aktivist:innen bei der ganzheitlichen und nachhaltigen Planung und Kommunikation ihrer Projekte und Bücher.

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